Der Mitte-Finder: Prof. Dr. Hinrich Lorenzen ist Sprecher der Fachabteilung für Mathematik an der Europa-Universität Flensburg und gilt als einer der renommiertesten Professoren Schleswig-Holsteins. Er liebt die Arbeit mit Zahlen und Formeln. Sein berufliches Mantra: Mathematik kann schön sein! Neben seiner fachlichen Kompetenz bringt Prof. Lorenzen die wohl wichtigste Expertise für unsere Anfrage von Natur aus mit: Er ist gebürtiger Nordfriese! Zusammen mit seinen Kollegen Prof. Dr. Leck und Dr. Michael Schmitz enthüllte der Mathematiker jetzt eines der letzten Geheimnisse von Deutschlands größter Nordsee-Insel: Den rechnerischen Sylt-Mittelpunkt. Für das Experten-Trio nur eine kleine Spielerei, aber eine enorme Hilfe für uns: Die Just-Sylt-Redaktion kommt gerade mal auf einen Abi-Mathe-Schnitt von 3 minus!
„Diese interessante Frage wurde von der Redaktion von JUST SYLT an uns Mathematiker herangetragen, verbunden mit der Bitte um Berechnung des Mittelpunkts. Nun denn. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es den einen geografischen (oder mathematischen) Mittelpunkt nicht gibt. Vielmehr existieren eine ganze Reihe von Möglichkeiten, sinnvolle Kriterien für einen möglichst zentralen Punkt festzulegen und einen solchen nach diesen Kriterien zu berechnen. Dabei ist es nicht nur theoretisch möglich, dass man einen Mittelpunkt erhält, der gar nicht auf der Insel liegt! Nehmen wir beispielsweise einfach den Punkt auf dem mittleren Breitengrad (also genau in der Mitte zwischen den Breitengraden des nördlichsten und des südlichsten Punktes der Insel) und dem mittleren Längengrad (zwischen dem östlichstem und dem westlichsten), so landen wir vor Keitum im Wattenmeer. Verbinden wir den nördlichsten Punkt der Insel mit dem südlichsten und den östlichsten mit dem westlichsten, so ist der Schnittpunkt dieser Verbindungen sogar noch weiter von der Küste entfernt – diesmal in Richtung Föhr. Für einen auch touristisch brauchbaren Mittelpunkt sind das natürlich unbefriedigende Ergebnisse.
Was nun? Naheliegend wäre vielleicht der Flächenschwerpunkt, wenn wir die Krümmung der Erdoberfläche ignorieren und Sylt als Fläche auffassen. Leider ist die Berechnung hier etwas aufwendiger, zumindest erfordert sie einiges an Daten. Daher wollen wir an dieser Stelle davon absehen – die Anfrage an uns kam recht kurzfristig. Zudem haben wir durchaus den Ehrgeiz, eine einfach verständliche Berechnungsmethode mit einem „schönen“ Ergebnis zu präsentieren. Aus ähnlichen Gründen verwerfen wir den Punkt mit der im Durchschnitt geringsten Entfernung von allen Punkten der Insel. Ebenso scheidet derPunkt P aus, für den die maximale Entfernung irgendeines Punktes auf der Insel zu P minimal ist (ein für die mathematische Optimierung typisches Minimax-Problem) – mit anderen Worten, der Mittelpunkt eines kleinsten Kreises, der die ganze Insel enthält.
Stattdessen erläutern wir im Folgenden eine Modellierung, die sowohl sinnvoll und verständlich als auch mathematisch interessant ist – und zudem noch einen „guten“ Mittelpunkt von Sylt liefert. Die Bestimmung eines geographischen Mittelpunktes kann mit Hilfe von Kreisen erfolgen. Zunächst sucht man diejenigen beiden Orte auf Sylt, die den größten Abstand voneinander haben. Diese Punkte N und S haben laut Google Maps die Koordinaten (55.058625; 8.419822) bzw. (54.745333; 8.295726) und liegen d=35,73km auseinander. Zeichnet man nun um N und S Kreise mit dem Radius d, so ist (nicht nur anschaulich) klar, dass alle Orte innerhalb der einander überlappenden Kreise liegen und höchstens den Abstand d voneinander haben (vgl. Abb. 1). Der die ganze Insel Sylt umfassende Kreis – der sogenannte Umfassungskreis – ist nun durch den Mittelpunkt der Strecke SN und die Schnittpunkte P und P‘ festgelegt. Dieser so bestimmte Mittelpunkt hat die Koordinaten 54.901979 und 8.357774 und befindet sich etwas nördlich der Keitumer Landstraße.
Ein berühmter mathematischer Satz von H.W.E. Jung besagt, locker formuliert, dass jedes Gebiet (wie hier die Insel Sylt) mit dem maximalen Abstand zweier Punkte einen Umfassungskreis mit dem Radius hat. Durch die besondere Form der Insel Sylt sind jedoch noch kleinere Kreise möglich – versuchen Sie es! Den kleinsten Kreis nennt man übrigens auch Pferchkreis.“
JUST SYLT bedankt sich sehr bei der Europa-Universität Flensburg und ganz besonders bei allen Sylt-Mitte-Finder um Prof. Lorenzen. Mathematik kann eben doch richtig schön sein! Und hier ist er nun: Der rechnerische Mittelpunkt der schönsten Nordsee-Insel der Welt!