Ole schlummert auf dem Rücksitz. Unser Redaktions-Rüde ahnt noch nicht, dass heute der tollste Spaziergang seines noch jungen Vierbeiner-Lebens auf ihn wartet – professionelle Begleitung inklusive.
Ole ist waschechter Sylter – und allein das macht ihn schon zu einer der glücklichsten Französischen Bulldoggen Deutschlands. Denn auf der nördlichsten Insel der Republik sind Fellnasen jeder Größe, Art und Altersklasse herzlich willkommen. Das hat sich mittlerweile auch unter den rund 1 Million Touristen herumgesprochen, die hier jedes Jahr Erholung zwischen malerischen Sandstränden und pulsierendem Nachtleben finden. Rund ein Drittel der Gäste bringt ihre rutenschwingenden Familienmitglieder gleich mit, die neben aller Tierliebe der Nordfriesen auch immer mehr zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden sind. Das Verwöhn-Angebot der Insel ist entsprechend reichhaltig – ein besonderes Highlight erwartet uns am Roten Kliff in Kampen, einem von 15 Hunde-Stränden auf Sylt. Hier treffen wir Hunde-Betreuerin Anne Schacht und acht ihrer Schützlinge. Ole ist mittlerweile hellwach und grunzt seine Aufregung beim Anblick der fremden Artgenossen gegen die geschlossene Auto-Scheibe. Als wir die Font-Tür endlich öffnen, gibt’s kein Halten mehr. Schnuppern, wedeln, Freundschaft schließen. Der Start ist schon mal gelungen. Das kleine Rudel akzeptiert unseren Frenchie – und der fühlt sich sofort pudelwohl.
Anne Schacht geht in die Hocke und begrüßt unseren anderthalbjährigen Rabauken. Die beiden verstehen sich auf Anhieb – das ist für die ausgebildete Dogwalkerin eine Grundvoraussetzung. „Ich checke den Charakter der Hunde ab und lese ihre Körpersprache, bevor ich sie in eine Gruppe aufnehme. Tiere, die beißen oder nicht folgen, nehme ich nicht. Das kläre ich bei einem Probe-Spaziergang vorher ab. Ich muss jeden Hund kennen, erst dann wird der Ausflug für das gesamte Rudel zum entspannten Vergnügen.“ Das Rote Kliff empfängt die kunterbunt gemischte Gassi-Truppe mit strahlendem Sonnenschein, tosenden Wellen und einer steifen Brise aus Nordwest. Noch sind Ole und seine neuen Freunde angeleint, ihre freudige Anspannung ist deutlich spürbar.
„Warte!“. Nach und nach leint die 38jährige Hunde-Sitterin Ole und sechs ihrer Hunde ab. „Warte!“. Die Vierbeiner sind zwischen Gehorsam und Losflitzen hin- und hergerissen. „Warte – und los!“. Jetzt brechen alle Dämme. Die Vierbeiner stürmen wie die Geistesgestörten den belebten Sandstrand. Vorne weg düst Happy, der der Welt auf Teufel komm raus beweisen will wie schnell er rennen kann. Doch nicht alle Mitglieder der Gassi-Gang können beim ausgelassenen Toben mitmachen. Hardy und Marley bleiben beim Spaziergang an der Leine. „Die beiden sind ein bisschen schreckhaft – und so könnte es sein, dass die irgendwann stiften gehen. Mit der Leine kommen die klar – und ihren Besitzern ist es natürlich wichtig, dass es ihnen gut geht und wir am Ende nicht noch einen Suchtrupp über die Insel schicken müssen.“
Ole lässt vor der herrlichen Strandkulisse ausgiebig die Hinterkeulchen schwingen und zischt wie ein kleiner Kugelblitz über den hellen Nordseesand. Doch plötzlich hält er inne – unser junge Romeo scheint sich Hals über Kopf in die rumänische Straßenhund-Dame Wilma verguckt zu haben, die seit 2014 Annes treue und tiefenentspannte Gefährtin auf all ihren Spaziergängen ist. Ole vergisst vor lauter Begeisterung seine gute Kinderstube und beschnüffelt die 15jährige Rudel-Chefin mit penetranter Hartnäckigkeit. Nach einer minutenlangen Hintern-Nasen-Polonaise reicht es der sonst so besonnenen Wilma endgültig: ein schnelles Umdrehen, zwei energische Kläffer – dann ist endlich Ruhe im Karton. Oles Charme wirkt eben nicht bei jedem. „Wilma ist meine Assistentin. Als Mensch habe ich den Hut auf, unter den Hunden ist es Wilma, die für Ausgeglichenheit und Konflikt-Klärung sorgt. Für meine Arbeit ist sie sehr wichtig. Auch Disziplin gehört zu einem glücklichen Hundeleben. Und wenn meine Kundenhunde schließlich abends ausgepowert und glücklich ins Körbchen plumpsen, sind alle glücklich.“
Nach rund einer halben Stunde Highlife am Strand schwinden bei der Gassi-Bande etwas die Kräfte. Erste Anzeichen der Erschöpfung: Rüde Theo krakeelt eine vorbeiziehende Gruppe Jagdhunde an – aus sicherer Entfernung, versteht sich. Happy macht seinem Namen alle Ehre und umrundet den Pöbler hüpfend und in sichtlich bester Laune. Eine Verhöhnung ersten Ranges. Zeit für einen Pausensnack – ein paar Knusperkuchen hat die Dog-Nanny immer in der Jackentasche griffbereit. Die Hunde kennen das Ritual bereits und setzen sich brav wie die Unschuldsengel halbkreisförmig vor die gebürtige Hamburgerin. „Dreimal täglich gehe ich mit der Gruppe raus – bei Wind und Wetter. Das härtet ab. Ich bin eigentlich nie krank. Mit den Leckerlis übe ich mit den Hunden ein paar Tricks wie Pfötchengeben ein. An einem schönen Tag wie heute setzen wir uns manchmal in den Sand und beobachten ein paar Minuten das Treiben am Strand. Einfach wunderschön – für Hund und Mensch. An Sylt kann ich mich gar nicht sattsehen.“
Die letzten Hundekuchen-Krümel staubt Charmebolzen Ole ab. Alles frei Schnauze. Seinem bettelnden Blick kann eben niemand widerstehen – und das weiß er auch. Auf dem Rückweg sind die vierbeinigen Strandpiraten nicht mehr komplett auf Chaos gepolt. Ole traut sich sogar mit den Pfoten-Spitzen ins eiskalte Atlantikwasser. Die Neugier des restlichen Rudels ist geweckt, doch eine größere Welle umspült die Wagemutigen, die wie von einer Tarantel gestochen unverzüglich Reißaus nehmen. Zurück an der Sturmhaube sind alle platt – Anne Schacht ist glücklich. „Seit 12 Jahren bin ich auf Sylt – mit dem Insel-Hund-Service kann ich meine Liebe zu den Vierbeinern an den wundervollen Stränden auch beruflich richtig ausleben. Für mich ist wichtig, dass ich Insulanern und Touristen mit meiner Erfahrung helfen kann. Jeder Hundebesitzer kennt das ja, wenn man mal keine Zeit hat, sich um das Tier zu kümmern. Ich erlebe immer wieder viel Dankbarkeit von Mensch und Hund – glücklicher könnte ich nicht sein. Neben der Tagesbetreuung kann ich mich momentan zusätzlich zwei Hunde als Übernachtungsgäste aufnehmen. Ich will mein Angebot noch vergrößern und suche ein geeignetes Objekt für meine eigene Hunde-Pension. Das ist auf Sylt nicht immer ganz einfach.“
Auch Ole ist k.o. – die frische Seeluft, die neuen Eindrücke und fast eine Stunde volle Pulle am Rad drehen fordern ihren Tribut. Nach der schwanzwedelnden Verabschiedung seiner neuen Gassi-Kumpanen und ihrer professionellen Betreuerin, hüpft er ohne Verzögerung auf den Rücksitz, schaut kurz zurück und legt sich lang. Nach wenigen Sekunden schlummert er selig auf dem Rücksitz ein.